Tauschring

Aus Tauschwiki

Der Begriff Tauschring wird uneinheitlich verwendet. Hier im Tauschwiki bezeichnet "Tauschring" eine bestimmte Art selbstverwalteter Organisationen zur bargeldlosen Verrechnung von Dienstleistungen und Warenaustausch, die in den 1990ern ihre große Zeit hatten. Sich selbst bezeichnen diese Organisationen auch mit Begriffen wie LET-System, Tauschkreis, Verrechnungsring, Kooperationsring, Zeitbörse, Nachbarschaftsbörse, Gib und Nimm, Tauschnetz, Tauschsystem und ähnliches.

Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition, was ein Tauschring genau ist. Aber es gibt verschiedenen Definitionsversuche, die den Gegenstand des Tauschwikis gut erfassen.

Definitionen

In einer juristischen Fachzeitschrift definierten die Juristen Brandenstein, Corino und Petri 1997:[1]

Bei einem Tauschring handelt es sich um eine örtlich begrenzte, auf Dauer angelegte Verbindung einer größeren Zahl von Personen, ausgerichtet auf wechselnden Mitgliederbestand, mit einem Gesamtnamen und dem gemeinsamen Zweck, daß die Personen einander Leistungen hauptsächlich gegen Gutschriften selbstgeschaffener Verrechnungseinheiten erbringen.

Ein Beraterteam definierte im gleichen Jahr im "LETS-Handbuch PaySys":[2]

Unter einem LET-System, Kooperationsring oder Tauschring versteht man ein organisiertes Verrechnungssystem, das dem bargeldlosen Austausch von Leistungen und Produkten zwischen Privatpersonen, Organisationen und Kleinunternehmen auf lokaler Ebene dient. Da überwiegend Dienstleistungen und Produkte zwischen den privaten Haushalten ausgetauscht werden, beschränkt sich das Tätigkeitgebiet eines LETSystems im Regelfall auf einen Stadtteil, eine Stadt oder eine Region.

Simone Wagner defnierte 2009 in ihrer Dissertation:[3]

LET-Systeme sind netzwerkartig aufgebaute Handelsorganisationen, welche parallel zur Geldwirtschaft einen alternativen, nicht-monetären Wirtschaftskreislauf etablieren wollen. In diesen können die Teilnehmer ihre am Markt nicht gefragten Ressourcen und Fähigkeiten einbringen und gegen eine lokal gültige Alternativwährung eintauschen.

Die deutsche Bundesregierung betonte 1997 im Rahmen einer Kleinen Anfrage im Bundestag:"[4]

Gemeinsam ist aber allen, daß sie örtlich begrenzt sind, und ihre Mitglieder bargeldlos Dienstleistungen -- in Ausnahmefällen auch Waren -- miteinander tauschen. Die Bezahlung erfolgt mit eigens geschaffenen Verrechnungswährungen. Die Vermittlung der Tauschpartner und die Führung der Tauschkonten erfolgen durch zentrale Vermittlungszentralen (Tauschzentralen).

Gemeinsamkeiten

So bunt und vielfältig die deutsche Tauschring-Landschaft auch ist, so gibt es mehrere Merkmale, die (fast) alle Tauschringe erfüllen, die hier im Tauschwiki erfasst werden.

Freiwilliger Zusammenschluss: Tauschringe sind Organisationen mit Rechtsform, Satzung und Tauschregeln. Die Teilnahme ist freiwillig.

Geschlossener Kreislauf: Tauschringe sind geschlossene Wirtschaftssysteme, die nur Transaktionen zwischen den Mitgliedern berücksichtigen. Unter dem Stichwort "Außentausch" werden verschiedene Ansätze diskutiert, Transaktionen mit Nichtmitgliedern zu ermöglichen.

Moralische Verpflichtung zur Gegenseitigkeit: Im Gegensatz zu Wohlfahrt und Schenkökonomie besteht in Tauschringen eine "moralische Verpflichtung" (Tauschversprechen), im Tausch für erhaltene Leistungen gleichwertige Gegenleistungen zu erbringen.[5]

Buchführung: Tauschringe führen für ihre Mitglieder Konten, um die erbrachten und erhaltenen Leistungen zu dokumentieren. Wegen des geschlossenen Wirtschaftskreislaufs werden Konten in der Regel mit Saldo Null eröffnet. (Manche Tauschringe arbeiten mit Startguthaben.)

"Ohne Geld": Viele Tauschringe betonen, sie würden "ohne Geld" arbeiten. Damit ist in der Regel erstens gemeint, dass ihr Wirtschaftskreislauf ohne gesetzliche Währung (Euro) auskommt. Alle hier im Tauschwiki erfassten Tauschringe verwenden aber eine eigene "Tauschwährung", um die Transaktionen zwischen den Mitgliedern abzurechnen (siehe unten: Verrechnungseinheit). Zweitens bringen Tauschringe weder Bargeld noch längerfristig gültige bargeldartige Gutscheine in Umlauf, mit dem Mitglieder (und Nicht-Mitglieder) Waren oder Dienstleistungen "bezahlen" könnten. Hier liegt der größte Unterschied zu Komplementärwährungen wie Regiogeld oder Geldexperimenten wie Minuto. (Manche Tauschringe verwenden kurzfristig gültige Gutscheine, Marken oder Bons, um während einer Veranstaltung die Abrechnung zu erleichtern.)

Verrechnungseinheiten: Tauschringe verwenden Verrechnungseinheiten (VE) zur Leistungsverrechnung. Manche betrachten diese als Lokalgeld, manche als Tauschmittel, manche als (bar)geldloses Verrechnungssystem, manche als irgendwas dazwischen. Es werden immer wieder Grundsatzdiskussionen geführt, ob Zeit oder Euro der bessere Wertmaßstab für VE sei, ob eine Äquivalenz von VE und gesetzlichem Zahlungsmittel notwendig sei (etwa zur Berechnung von Steuern) und ob eine Konvertierbarkeit wünschenswert sei.

Zinsverbot: Tauschringe berechnen weder Leihzinsen auf Kredite, noch gewähren sie Guthabenzinsen. (Manche Tauschringe berechnen Negativzinsen auf Guthaben als Tauschanreiz.)

Markt: Tauschringe haben eine Marktzeitung, um Anzeigen für Tauschangebote und -gesuche tauschringintern zu veröffentlichen. Zunehmend werden Tauschanzeigen auch online über Webdienste veröffentlicht.

Haushaltsnahe Dienstleistungen: Im Gegensatz zu Regiogeld oder Barter Clubs liegt der Schwerpunkt bei Tauschringen beim Tausch von Dienstleistungen und Waren zwischen privaten Haushalten. Vom Selbstverständnis vieler Tauschringe handelt es sich dabei um erweiterte Nachbarschaftshilfe. Es werden immer wieder Grundsatzdiskussionen geführt, in welchem Umfang es sinnvoll ist, gewerbliche Teilnehmer in den Tauschring einzubeziehen.

Ortsbezug: Tauschringe beschränken sich (meist?) auf ein räumlich begrenztes Einzugsgebiet, in der Regel einen Stadtteil, eine Stadt oder eine Region. (Manche Tauschringe vernetzen sich zu größeren Einheiten; manche beteiligen sich am Außentausch mit räumlich weit entfernten Tauschringen.)

Unterschiede

Größere Unterschiede gibt es bei Mitgliederzahl von Tauschringen (von 7 bis 700), ihrer Organisationsstruktur (von Anarchie über Vereinsmeierei bis Autokratie), dem Grad der Vernetzung mit anderen lokalen Einrichtungen (von Autarkie bis Kooperationssverträgen) und ihrer Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit (von privaten Stammtisch bis zur Präsenz auf Straßenfesten, in Fachliteratur, Web und TV).

Außerdem unterscheiden sie sich in ihrem sozialen, politischen und wirtschaftlichen Anspruch. Manche Tauschringmitglieder verstehen sich als Pioniere einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Viele wollen sich einfach nur als Nachbarn gegenseitig bei den kleinen Problemen des Alltags helfen.

Die Autoren Kristof/Nanning/Becker gruppieren Tauschringe in drei "Strukturmodelle":[6]

  • Der kommunikationsorientierte Tauschring: eng begrenzte und strukturschwache Regionen; kleine bis mittlere Anzahl Mitglieder, ähnliche Lebenssituation; überwiegend soziale Motivation, Kommunikation und Nachbarschaftshilfe; "soziale Geborgenheit".
  • Der ideologiebetonte Tauschring: Mitglieder meist aus grün-alternativem Spektrum; gemeinsame Philosophie; überwiegend ideologische Motivation, ökonomische Motive nachrangig; "andere Ökonomie ausprobieren".
  • Der leistungsstarke Tauschring: großes Ballungsgebiet, besonders viele Mitglieder; ökonomische Motivation; breites Angebot an Dienstleistungen, "die man sich sonst nicht leisten" könnte.

Einzelnachweise

  1. Brandenstein Corino Petri 1997, S. 825
  2. LETS-Handbuch PaySys (Version 4.1), S. 7
  3. Wagner 2009, S. 33
  4. Kleine Anfrage im Bundestag 1997
  5. vgl. a. Pieper 2002, S. 126: "Der Teilnehmer, der einem anderen Teil­nehmer eine Realleistung erbringt, erhält hierfür ein Gegenleistungsrecht, das ein abstraktes, subjektives Vermögensrecht ist. Es ist auf die Möglichkeit gerichtet, eine Gegenleistung von einem anderen Teilnehmer zu beziehen. Derjenige, der Realleistungen ohne ein solches Recht beansprucht, verpflichtet sich gegenüber allen anderen Mitgliedern, die ein Guthaben aufweisen, ihnen eine Realleistung zu erbringen."
  6. Kristof Nanning Becker 2001, S. 13ff.